Lasttragender Strohballenbau
Ich möchte hier festhalten und auch teilen, warum wir nicht lasttragend mit Strohballen bauen, obwohl wir das lange vorhatten. Wir haben uns in der Leistungsphase 3 entschieden, den Ansatz zu verwerfen.
Hintergrund und Vorgeschichte
Nachdem wir entschieden hatten, dass wir mit nachwachsenden Rohstoffen bauen möchten, sind wir zunächst auf die Baumethode der Holzständerbauweise mit Strohdämmung und Lehmputz gekommen. Wir konnten uns einige von unserem ehemaligen Architekten gebaute Häuser ansehen und uns von der Qualität und dem sehr hohen Wohnkomfort überzeugen. In unseren Recherchen zu dem Thema und auch in Gesprächen mit unserem ehemaligen Architekten kamen wir dann auf das zurzeit noch sehr neue Thema des lasttragenden Strohballenbaus mit Jumboballen. Für uns klang das Versprechen mit noch weniger Umweltbelastung bauen zu können sehr verlockend und wir haben entsprechend einen solchen Bau geplant und auch weiter dazu recherchiert.
Erwartungen
Wir haben uns vom lasttragenden Strohballenbau gegenüber der Holzständerbauweise folgende Dinge versprochen:
- Wir belasten die Umwelt weniger.
- Wir sparen Geld oder die Kosten sind zumindest gleich.
- Das Haus wird durch weniger verschiedene Bauteile einfacher in der Konstruktion.
- Wir demonstrieren, dass man so günstig bauen kann um möglichst viele andere Menschen zu solch einer Bauweise zu inspirieren.
- Wir senken den Energieverbrauch weiter ab.
Besuche in Weimar und Erbsen
Wir hatten die großartige Gelegenheit, zwei bereits errichtete Häuser mit lasttragender Strohballenbauweise zu besichtigen und mit den Architekt:innen zu sprechen.
Weimar
In Weimar haben Sarah und Florian Hoppe ein Doppelhaus mit lasttragenden Strohballen gebaut. Das Haus hat in drei Himmelsrichtungen sehr starke Wände (140cm) und nach Süden sehr großzügige Öffnungen mit Fenstern. Das Haus ist sehr schön und das Wohnklima im Haus hervorragend, aber unserer Ansicht nach vergleichbar mit den Häusern mit Holzständerbauweise und Strohdämmung, die wir besucht haben.
Die Hoppes sind beide Architekt:innen und Florian Hoppe forscht an der Uni in Weimar. Er ist von der Technik begeistert und in unseren Augen ein echter Innovator. Dabei ist er aber auch ein kompromissloser Visionär. So hat seine Wohnung über zwei Etagen zum Beispiel keine Innentreppe zwischen den Stockwerken: Wer nachts noch einmal in die Küche will, muss über die Außentreppe.
Auch hat er sicher viel der notwendigen Mehrarbeit durch den Strohballenbau in Eigenleistung gebracht und das Architekturbüro seiner Frau "Z·Architektur GbR" tatkräftig unterstützt, was uns nicht möglich ist.
Bezüglich der Heizung verbraucht die Familie Hoppe nach eigenen Angaben erhebliche Mengen an Brennholz. Die mancherorts angepriesene "Heizung durch die menschliche Körperwärme" reicht offensichtlich bei weitem nicht aus. Überschlagen habe ich einen Primärenergiebedarf von knapp unter 40 kWh/(m²·a), was gerade einmal einem KfW-Effizienzhaus 55 entspricht. Vom Passivhaus ist dies Welten entfernt.
Erbsen
In Erbsen wurde ein Dorfgemeinschaftshaus mit lasttragenden Strohballen errichtet. Das Dorfgemeinschaftshaus ist schön geworden. In den Gesprächen einer der Architektinnen, Frau Heike Bröll, sind uns einige Dinge in Erinnerung geblieben.
Die Besorgung der Strohballen war umständlich, schwierig und teuer. Durch die Wetterlage im Jahr 2023 konnte kein adäquates Stroh geerntet werden. Der Bau hat sich also erheblich bis zur nächsten Erntesaison verzögert. Das korrekte Pressen der Ballen war mit erheblichem Arbeitsaufwand, auch der Architektin und anderer, für diese Arbeiten eigentlich überqualifizierter Leute, verbunden. Die Ausschussrate war hoch. Für den Landwirt waren die Arbeiten am Ende wirtschaftlich äußerst unattraktiv, weil mit zu viel Zeitaufwand verbunden.
Weil wenige Spezialisten mit den Strohballen umgehen konnten und weil es auch sehr wenige Angebote auf die Ausschreibungen gab (was wahrscheinlich an den großen Unwägbarkeiten des Projekts lag), mussten viele Teile der Holz- und Dachkonstruktion über weite Strecken transportiert werden. Ob dabei dann noch die möglich CO₂-Einsparungen durch die Verwendung von Stroh gegenüber Holz die Transportemissionen überwiegen, ist nicht bekannt.
Die Strohballen konnten nur sehr kompliziert in das Gesamtgefüge des Hauses eingebettet werden. So steht über dem Fundament zunächst ein Betonsockel, auf dem eine Auskragung durch eine Holzkonstruktion steht. Darauf liegen die Strohballen, welche alle mit langen Gewindestangen an den Betonsockel gepresst werden. Auf den Strohballen liegt oben ein Ringanker aus Holz, welcher besonders konzipiert werden musste. Darüber kommt ein weitgehend normales Dach.
Die Setzung der Strohballen wurde viel zu hoch kalkuliert. Es wurde mit 15cm gerechnet, am Ende waren es nach der Kombination von Vorspannen der Gewindestangen und Auflage der Dachkonstruktion keine 5cm. Die Setzung ist, auf Grund der unvorhersehbaren Dichte des Strohs, im Grunde unberechenbar.
Ernüchternd waren die Details zu den Kosten des Bauprojekts: Weit entfernt von den versprochenen Einsparungen durch die Bauweise mit lasttragenden Strohballen, lagen die tatsächlichen Kosten weit über der Kostenschätzung. Die Kosten haben sich von geschätzt 615.000 Euro auf 800.000 Euro erhöht. Dies lag nach Angaben von Frau Bröll vor allem an der hohen Komplexität der Zimmererarbeiten und dem äußerst aufwendigen Genehmigungsverfahren.
Fazit
Nach den Besuchen und unseren Recherchen kommen wir leider zu dem Ergebnis, dass sich unsere Erwartungen nicht erfüllen werden.
- Der Energieverbrauch ist trotz der Bauweise ähnlich hoch wie mit Holzständern, wahrscheinlich wegen der großen Fensterflächen.
- Die Bauweise ist extrem komplex. Die oder der Statiker muss sich tief in die Materie einarbeiten. Sonderwünsche werden mit großer Skepsis beäugt und müssen oft verworfen werden (in unserem Fall war der Luftraum mit späterer Möglichkeit der Wohneinheitstrennung sehr kritisch). Der Hausbau gleicht gefühlt einer ingenieurtechnischen Promotion.
- Die Bauweise ist mit erheblichen Mehrkosten verbunden: Es müssen Prüfstatik und Einzelfallgenehmigung beauftragt, betrieben und bezahlt werden. Auf die komplexen, neuartigen Gewerke im Holzbau gibt es nur wenige und teure Gebote, was wahrscheinlich die hohen Unwägbarkeiten für die Zimmerleute einpreist.
- Holz ist eine Massenware, die überall und zu gleichen Qualitäten zu haben ist. Lasttragende Strohballen sind von schwankender Qualität und schwer zu bekommen. Oftmals muss man weite Transportstrecken in Kauf nehmen. Ob die Klimabilanz positiv ausfällt, ist zumindest fragwürdig.
- Die Bauweise taugt in keinster Weise für "die Masse". Es wird sehr viel Fläche - man muss es leider so sagen - verschwendet, weil die Wände so dick sind. Grund und Boden ist teuer und im innerstädtischen Bereich auch noch knapp. Diese Art des Bauens ist sicherlich kein Modell für die breite Masse, sondern für extravagante Häuser in Einzelstellung auf dem Land. Das ist aber nicht das, was wir wollen: Wir wollen ein einfaches, günstiges Haus, welches durch eine geringe Komplexität und wenig technischen Aufwand die Kosten niedrig und die Robustheit hoch hält.
Dazu kommen noch weitere Beobachtungen und Gedanken:
- Die Wände der Häuser sind extrem stark (140cm). Das liegt aber nicht daran, dass eine Stärke von 100cm nicht ausreichend für die Lastabtragung wäre, sondern vielmehr daran, dass Jumbo-Strohballen nicht in anderen Stärken zu bekommen sind. Hier unterwirft man sich einem Industriestandard und verzichtet dabei auf Wohnkomfort (schmale Leibungen). Für uns ein fragwürdiger Ansatz. Außerdem verwendet man ja auch deutlich zu viel Material.1
- Die schwankenden Eigenschaften der Strohballen bezüglich Dichte und Komprimierung machen eine Vorausberechnung der Setzung mehr oder weniger unmöglich oder wenigstens sehr aufwendig und teuer. Auf manche konstruktiven, aber architektonisch ansprechenden Details muss man schon deswegen verzichten.
- Selbst im konventionellen Hausbau liegen die Emissionen bei maximal 0,8t CO₂ₑ/m². Für unser Haus mit ca 180m² wären das nicht mehr als 144t CO₂ₑ, selbst wenn wir mit Beton bauen würden! Diese Emissionen durch die Vernichtung von ETS-I Zertifikaten zu kompensieren würde gerade einmal ca 10.000 Euro kosten. Eine Unsumme von 25% der Baukosten in diese winzige CO₂-Einsparung durch den Verzicht auf die Holzständer zu investieren, ist aus unserer Sicht nicht sinnvoll.
Footnotes
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Für diesen Gedanken möchte ich mich bei Liam Winckler von DREWES+SPEHT bedanken. ↩